Was passiert mit unserem Ich, wenn der Geist zerfällt? Kann er denn überhaupt zerfallen? und wenn nicht, was zerfällt in der progressiven Zersetzung der Erinnerungsfähigkeit, der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und der Erkenntnisfähigkeit? Was geschieht mit Constantin und warum weiss ich, dass es noch immer derselbe Mensch ist, der mir seine Lebensgeschichte erzählt hat, an die ich mich nun an seiner Statt zu erinnern versuche? Ich gehe nun etwas systematischer vor: Ausgangspunkt dieses philosophischen Exkurses ist das Buch des amerikanischen Philosophen John R. Searle: Geist. Eine Einführung. Es gibt am Anfang einen Satz, der mir sehr gefällt. Er schreibt dort noch in der Einleitung (S. 16): „Ich versuche, das Buch zu schreiben, das ich selber gerne gelesen hätte, als ich zum ersten Mal anfing, über diese Fragen nachzudenken.“ Und etwas weiter unten: „Über den Geist zu schreiben hat die angenehme Eigenschaft, dass man nicht erklären muss, warum das Thema wichtig ist.“ Na ja. Das Buch ist nicht gerade ein Text, den man auf einer Zugfahrt liest. Es ist Arbeit, die man am besten an einem Tisch sitzend mit Lineal, Bleistift und Notizzetteln verrichtet – klassische philosophische Lektüre, wie ich sie schon seit vielen Jahren nicht mehr in dieser Intensität betrieben habe (danke, Heschmat, dass Du mich wieder „an den Tisch gesetzt“ hast). Nun bin ich kein Student mehr. Ich habe inzwischen ein intellektuelles Niveau erlangt, das mir das Selbstvertrauen gibt, etwas vermitteln zu können. Was ich hiermit tue. Ich möchte die Leser dieses Blogs einladen, meinen Gedanken zu folgen und selbstverständlich sich dazu zu äussern, eigene Gedanken einzubringen, nachzufragen, wenn etwas unverständlich ist und mich zu korrigieren, sollte mir ein Fehler, insbesondere ein Denkfehler unterlaufen. Dafür gibt es die Möglichkeit des Kommentars. Danke, Marc, dass Du den ersten Kommentar geschrieben hast. Ich freue mich, wenn Du weiter liest. Mein erster Professor, Herrmann Lübbe, identifizierte die Geschichtsschreibung als Identitätspräsentationsmedium von Gemeinschaften. In einer zunehmend geschichtsvergessenen Gesellschaft übernimmt Facebook diese Funktion und wir müssen uns nicht weiter darüber unterhalten, von welcher Qualität dieses Medium ist. Aber das Internet als Kommunikationsraum bietet durchaus auch anderes und der Blog ist in der Tat eine sehr interessante Möglichkeit am Geist zu arbeiten. So. Systematisch! und der Reihe nach! Searle schreibt wiederum ein paar Seiten weiter: „Die Philosophie des Geistes hat ein besonderes Charakteristikum, das sie von anderen Zweigen der Philosophie unterscheidet. Bei den meisten philosophischen Themen gibt es keine tiefe Kluft zwischen dem, was die professionellen Philosophen glauben, und den Meinungen der übrigen gebildeten Bevölkerung. Aber in Bezug auf die Fragen, um die es in diesem Buch geht, gibt es einen gewaltigen Gegensatz zwischen dem, was die meisten Menschen glauben, und dem, was die Experten glauben.“ Und nun der eben falsche Glaube: „Ich gehe davon aus, dass heutzutage die meisten Menschen in der westlichen Welt an eine Form des Dualismus glauben. Sie glauben, dass sie sowohl einen Geist beziehungsweise eine Seele als auch einen Körper haben. Aber das ist mit Sicherheit nicht die Auffassung der professionellen Philosophen, Psychologen, Kognitionswissenschaftler, Neurobiologen und Erforscher der künstlichen Intelligenz.“ (S. 18 – 19) Das sind vorerst genug Zitate, um den Boden zu bereiten. Von jetzt an versuche ich Searle zu übersetzen in meine, hoffentlich einfach zu verstehende Sprache. Bis hierher ist auch Searle einfach zu verstehen und das ist er immer wieder, aber zwischendurch und nämlich dort, wo er seine eigene Ontologie einfliessen lässt, wird es kompliziert, oder zumindest so anspruchsvoll, dass man nicht einfach weiter lesen kann, ohne dazwischen nachzudenken.
Im nächsten Beitrag geht es zunächst mal weiter mit „Descartes und anderen Katastrophen“. Aber jetzt muss ich in die Küche!